von Dr. med. Stephan Illing
Sehr geehrte Fr. Oberbürgermeisterin Zull,
sehr geehrter Herr Bürgermeister Berner,
sehr geehrte Fr. Bürgermeisterin Soltys,
meine lieben Kolleginnen und Kollegen des Gemeinderates,
sehr geehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung,
meine Damen und Herren,
Fellbach hält zusammen -> ein schönes Motto, das uns gut durch die Pandemie getragen und den bürgerlichen Zusammenhalt in der Stadt betont und gefördert hat.
Lasst uns jetzt noch einen Schritt weitergehen: Fellbach bewegt sich.
Zuerst wollen wir den Mitarbeitenden der Stadtverwaltung herzlich danken, wir erleben Sie alle als sehr kooperativ und ergebnisorientiert und freuen uns immer wieder über die gute Zusammenarbeit.
Wir bedanken uns bei den betreffenden Institutionen für den vorbildlichen Umgang mit den geflüchteten Menschen, die hier in Fellbach eine vorübergehende und vielfach auch dauerhafte Heimat finden. Die Integration beginnt bei der Verwaltung, und geht weiter bei den Schulen, die jetzt über 200 Kinder aufgenommen haben, sowie den Bürgerinnen und Bürgern, die in vielfältiger Weise direkt unterstützen. Danke dafür. Und dass in wenigen Tagen eine Ausstellung mit dem Thema „was uns bewegt“ eröffnet wird, passt vielleicht auch gut dazu.
Kommen wir zu den lokalen Themen, und da fange ich mit dem Thema Verkehr an:
Es hat sich nach vielem Hin und Her doch noch etwas bewegt, sozusagen mit Tempo 30: Wir haben einen Lärmaktionsplan. Vielleicht schaffen wir es wirklich, den Verkehr in Fellbach wie in anderen Städten zu entschleunigen und zu verstetigen und damit menschlicher zu machen.
Gut finden wir, dass für die nächsten Jahre Mittel eingestellt sind, um das Radwegenetz in Fellbach besser zu planen, und dann auch hoffentlich zu realsieren. Da sind wir dank Fr. Orner auf einem guten Weg (Vorlage 220) und wir freuen uns besonders, dass unsere diesbezüglichen Anträge berücksichtigt wurden, vor allem bezüglich der Verbindung zwischen Öffingen und dem Bahnhof. Im Haushalt findet man allerdings für die Realisierung kaum Mittel, vor allem wenn man die Aufwendungen für neue und alte Straßen mit denen für Radwege vergleicht.
Vor allem beim Radschnellweg hinken wir hinterher. Wir können es drehen und wenden wie wir wollen: Der Radverkehr wird zunehmen, und gerade auch der Anteil am Berufsverkehr. Pendler benutzen den schnellsten Weg, und das ist meist der kürzeste. Wenn wir landschaftlich schöne oder anderweitig scheinbar attraktive Wege anbieten, ist das vertanes Geld, und ich höre schon die Kritiker reden, der Ausbau des Radwegs sei überflüssig. Da haben die Kritiker Recht, ein falsch geplanter Radweg ist tatsächlich überflüssig ausgegebenes Geld. Trotzdem bitten wir darum, dieses Vorhaben mit höherer Priorität zu versehen. Im übrigen ist das Konzept der Fahrradstrasse noch nicht bei allen Zeitgenossen angekommen, wie wir immer wieder mitbekommen und auch selbst erleben können, etwa wenn Kinder von Autofahrern angehupt oder bedrängt werden.
Auch die Versorgung mit E-Ladestationen ist noch deutlich ausbaufähig, wie auch in vielen anderen Kommunen. Es ist oft nicht leicht, eine freie und funktionierende Ladesäule zu finden, wie ich selbst schon mehrfach erlebt habe. Beim Ausbau bitten wir darauf zu achten, dass angemessene Blockiergebühren erhoben werden, so dass die Ladeplätze nicht stunden- oder gar tagelang als kostenlose Parkplätze missbraucht werden, wenn gar keine Ladung mehr stattfindet.
Und eine weitere Anregung: Laternenpfähle können nebenher zu Ladesäulen für PKW und E-Bikes werden. Das ist kein Witz, sondern existiert in verschiedenen Städten, auch hier in der Region. Laternenpfähle können auch sonst sehr viel mehr als Ständer für Lampen zu sein, z.B. Lärm- und andere Belastungen messen. Wir beantragen, dass diese Möglichkeiten beispielsweise bei der Gestaltung der nördlichen Bahnhofstraße geprüft werden. Unterlagen stelle ich gerne zur Verfügung.
Das Thema Elterntaxi wurde auch von der Landesregierung kürzlich zum Thema gemacht: Wir bitten vor allem bei den beiden großen Schulzentren und den anderen weiterführenden Schulen zu prüfen, ob temporäre Beschränkungen vor allem morgens zwischen 7:30 und 8 auf bestimmten Straßen möglich sind, und „kiss and drop“ bzw. „pick-up“-Zonen mit Abstand zur Schule möglich sind. Nur schwerbehinderte nicht gehfähige Schülerinnen und Schüler sollten direkt vor die Schule gefahren werden, und das sind ja wirklich nicht viele. Schulbusse sollen natürlich auch wie bisher halten dürfen. Hier in Fellbach ist ja schon einmal die Feuerwehr bei einem zum Glück kleinen Brand in einer Schule durch Elterntaxis erheblich behindert worden (3.12.2019).
Es gibt genug wissenschaftliche Studien, die zeigen, dass Elterntaxis für die transportierten Kinder nicht gesund sind. Es gehört zur normalen Entwicklung, Routine-Wege selbständig zurückzulegen (Stichworte: Kommunikation mit Gleichaltrigen, Sozialkompentenz, Orientierung im Gelände, Koordination).
Es gibt im Leipziger Stadtteil Grünau ein wissenschaftlich begleitetes Projekt mit dem Titel „Grünau bewegt sich“. In Zusammenarbeit mit Stadtverwaltung, Quartiersmanagement, Kitas, Schulen und anderen Akteuren ist es gelungen, deutlich mehr Kinder zu alltäglicher Bewegung zu bringen, und im zweiten Schritt auch zu einem besseren Ernährungswissen beizutragen.
Man kann mit geringem Aufwand die Schulwege attraktiver machen. So sind in Grünau farbige Markierungen auf schulnahen Wegen in Kooperation mit Vereinen, Quartiersmanagement und Bürgern entstanden, die Kinder zu Spiel und Bewegung animieren. Das ist nur ein Beispiel aus diesem Projekt, ich will das hier nicht zu weit ausführen. Wir beantragen ein Programm „Fellbach bewegt sich“ auf die Beine zu stellen. Die Kosten sind letztlich überschaubar, wenn alle mitspielen, also Stadtverwaltung, Schulen, Elternvertretungen, Sportvereine, Anwohner. Wir hier in Fellbach haben das Glück, mit der Bürgerstiftung eine Institution zur Seite zu haben, die unter dem Motto „gesund aufwachsen in Fellbach“ ein solches Projekte mit Sicherheit unterstützt.
Kurz noch ein paar Worte zum Thema Schule und Schwimmen: Die Antwort auf die Anfrage der SPD-Fraktion zeigt, dass es in Fellbach prinzipiell ausreichende schulische und außerschulische Angebote gibt (Vorlage 256).
In diesem Zusammenhang ist die Seepferdchen-Initiative der Bürgerstiftung hervorzuheben. So kann z.B. durch Bezahlung von Übungsleitern gewährleistet werden, dass kein Kind aus finanziellen Gründen nicht schwimmen lernt. Und ein schönes Beispiel, wie wir in Fellbach zwar die Kinderarmut nicht beseitigen können, aber einige wesentliche Folgen mindern.
Und wenn wir schon bei den Schulen sind: An einigen Schulzentren gibt es Schulkrankenschwestern, die sehr viele Gesundheitsprobleme bei Schülerinnen und Schülern erkennen und behandeln können, Sekretariat und Vertrauenslehrer entlasten und oft auch schwerwiegende Probleme frühzeitig erkennen und
damit den Unterricht sowohl für das einzelne Kind als auch oft genug für die Klasse retten. Zumindest für die beiden großen Schulzentren würde sich das sicher lohnen. Wir bitten zu prüfen, ob die Schulzentren an einem Modellversuchdaran interessiert sind und ob es Fördermöglichkeiten gibt.
In den Kindergärten ist die Förderung der Sprachkompetenz besonders wichtig, gerade auch in Zeiten mit vielen geflüchteten Familien. Fellbach ist hier relativ gut aufgestellt. Die Bundesregierung fördert seit 2016 durch finanzielle Unterstützung. Dies sollte noch 2022 auslaufen, wurde jetzt aber vorläufig bis Mai 2023 verlängert. Wir bitten zu prüfen, wie die Förderung der Sprachkompetenz auch weiterhin abgesichert werden kann, z.B. auch durch Landesmittel.
Und nach der Schule geht es weiter: Es gibt eine sehr wichtige Aktion des Jugendgemeinderates: Die Erstellung der Praktikabroschüre: Hier können junge Menschen Orientierung finden, wer in Fellbach und der näheren Umgebung Praktika und Ausbildungsplätze anbietet, wer angesprochen werden kann und welche Voraussetzungen erwartet werden. Diese Initiative sollte unbedingt weiter ausgebaut werden. Wir beantragen, dass die Stadt über die aktuelle Förderung hinaus dieses Projekt für die Zukunft auf sichere Beine stellt.
Wir finden es erfreulich, dass Inklusion und Barrierefreiheit bei der Stadt Fellbach einen hohen Stellenwert haben, und freuen uns, wenn es auf diesem Weg weitergeht. Verbesserungsbedarf sehen wir noch beim sogenannten „Amtsdeutsch“. (ZEIT-Artikel) Unsere Frage dazu: Wie weit nutzt die Stadt Textlab oder ähnliche Mittel, um amtliche Schreiben für uns Normalverbraucher verständlicher zu gestalten? Die Stadt befindet sich ja schon auf einem guten Weg, wie wir z.B. beim Beschluss über die einheitliche Beschilderung gesehen haben.
Auch das Thema Bauen bewegt uns hier ja ständig. Wir freuen uns auf die neue Maicklerschule. Doch über einiges muss ich mich wundern: so viel Beton und am Ende eine schwarze Fassade, die nicht einmal Strom produziert. Gut, die Planung ist ja schon ein paar Jahre her. In Zukunft sollte von den Architekten ein klares Bekenntnis zu mehr ökologischem Bauen eingefordert werden und dies bei Ausschreibungen auch ein wichtiges Kriterium für den Zuschlag sein.
Weitere wichtige Stichworte in diesem Zusammenhang sind die Begrünung und Beschattung an vielen Stellen, vor allem auch an Haltestellen; neue Grünzüge, die auch dann wirksam sind, wenn sie nur schmal ausfallen; und Systeme, die den Regenwasser-Abfluss in die Kanalisation verlangsamen (Stichwort Schwammstadt).
Der steigende Bedarf an Pflegeplätzen ist bei der Verwaltung bekannt und es gibt auch viele Anstrengungen, hier vor Ort gute Lösungen zu finden. Bei Pflege denkt man gemeinhin an alte gebrechliche und/oder demente Menschen. Es gibt eine zunehmend hohe Zahl an relativ jungen Menschen mit angeborenen oder chronischen Erkrankungen und Behinderungen, die von ihren Eltern nicht mehr gepflegt werden können, weil diese selbst alt und hilfsbedürftig sind. Diese jüngeren Pflegebedürftigen sind in den klassischen Einrichtungen meist nicht gut aufgehoben. Daher bitten wir darum, diese wachsende Gruppe in die Planungen mit einzubeziehen.
Auch wenn es etwas Gebetsmühlen-haftes hat: Wir spüren die Auswirkungen der Klimaveränderung immer deutlicher. Niemand kann noch übersehen, was bei uns und eigentlich überall passiert.
Sogar das sonst eher konservative und unpolitische Ärzteblatt hat vorletzte Woche diesen Titel gebracht: „Klimafolgen. Das Zeitfenster schließt sich“. Zunehmend erscheinen dort Artikel über die gesundheitlichen Folgen der Klimaveränderung. Wir sind ja tatsächlich schon so weit, dass wir Schutzräume für besonders gefährdete Personen planen, damit sie nicht durch die Sommerhitze umkommen. Wir freuen uns, dass entsprechend unserem Antrag nicht nur an den Hitzeschutz gedacht wird, sondern jetzt auch Wintertreffs eingerichtet werden für Menschen, die durch die Energiekrise sehr gebeutelt sind.
Es gibt reichlich zu tun. Die Stadtwerke sind auf einem guten Weg. So ist die Ertüchtigung des eigenen Windparks ein Schritt in eine nachhaltige Zukunft. Lokale Stromerzeugung ist in Zeiten unsicherer, gefährdeter und zu schwacher Netze ein sehr guter Plan. Und da geht gerade auch in Richtung PV noch mehr. Böschungen an Straßen haben wir in Fellbach nicht ganz so viele, Freiflächen mit Agro-PV bieten sich aber auch in Fellbach an.
Ich verstehe zwar nicht viel von Landwirtschaft, aber so viel habe ich dann doch gelernt: zu viel Sonne und damit Trockenheit bekommt manchen Nutzpflanzen nicht. Wenn wir Stromgewinnung und Halbschatten kombinieren, lässt sich mancher Hektar doppelt nutzen.
In diesem Zusammenhang ist es erfreulich und erwähnenswert, dass Fellbach im Rahmen der IBA nicht nur die Nachverdichtung in Gewerbegebieten plant, sondern auch neue Formen der Landwirtschaft. Wir werden nachher noch darüber sprechen, dass die diesbezügliche Fellbacher Studie bundesweit erstmalig gezielt die Integration landwirtschaftlicher Produktion im Bestandsgewerbe untersucht hat.
Und wir hoffen, dass dieser schönen Theorie dann auch Taten folgen.
Ähnliches gilt auch für die solare Wärmeerzeugung. Damit kann die Sonne sogar noch effektiver genutzt werden als bei PV-Anlagen, und die Installation gestaltet sich vergleichsweise einfach. Diese Technik ist im Grunde alt, aber durch die Standardisierung von Parabolrinnen jetzt gut standardisiert und damit serienreif. Da werden lange halbrunde einfache Spiegel aufgebaut, in deren Brennpunkt ein Wasserrohr verläuft. Heißes Wasser bzw. Dampf können direkt verwendet werden.
Hier gibt es also noch viel zu tun, und auch wenn Agro-PV und solare Wärmegewinnung immer wieder belächelt werden, irgendwann werden wir uns fragen, warum wir nicht früher und konsequenter damit angefangen haben.
Auch wenn ich die Aktionen mancher Klimaaktivisten nicht gutheißen kann, ihr Anliegen kann ich gut verstehen und nachvollziehen. Wenn meine eigenen Kinder nicht mehr fliegen und kaum noch Auto fahren bzw. keines besitzen und trotzdem ein gutes und zufriedenes Leben führen, dann müssen wir Verantwortlichen uns doch manchmal fragen, wo wir leben und was wir hinterlassen, weil wir die Zeichen nicht verstehen oder noch schlimmer nicht verstehen wollen. Im Jahre 1983 erschien ein sehr hellsichtiges philosophisches Buch, die „Kritik der zynischen Vernunft“. Die Kernaussage lautet, dass wir im Prinzip alle das Richtige wissen und trotzdem falsch handeln, und dies aus „vernünftigen Gründen“.
Aus unseren Anträgen erkennen Sie, dass uns wichtig ist, dass sich noch mehr bewegt in Fellbach. Das ist uns wichtiger als viel Geld auszugeben, was ja auch nicht in die aktuelle Zeit passt. Wir wollen keine Luftschlösser. Wie Sie wissen, lieben wir und ich besonders eher das Konkrete. Die Zeit der Placebo-Maßnahmen ist vorbei. Wir müssen miteinander schauen, wie wir unsere Ressourcen sinnvoll einsetzen, und da meine ich nicht nur Geld. Wenn wir nur hübsche Ausflüchte suchen, wie wir es gerade wieder in Ägypten bei der Klimakonferenz gesehen haben, kommen wir nicht weiter.
Wie wir gelernt haben, leben wir in Zeiten der Polykrise (Klima, Corona, Krieg). Das griechische Wort „Κρισις“ heißt in erster Linie Entscheidung oder Urteil. Krise bedeutet also aktives Handeln und nicht Stillstand. Also: entscheiden wir uns, bewegen wir uns, nicht abstrakt, sondern konkret, nicht „man sollte“, sondern „machen“, nicht die anderen vorlassen, sondern selbst vorne dabei sein. Wir können das: Fellbach bewegt sich. Seien wir Vorbild, bewegen wir uns!