Am 10. Mai 2022 sollte der Lärmaktionsplan beschlossen werden, ist aber überraschenderweise auf Wunsch zweier Fraktionen von der Tagesordnung genommen worden. Hier unsere Stellungnahme.
Von Uli Kuhnle
Nach langer Vorberatung ist es heute an uns, den Lärmaktionsplan der Stadt Fellbach zu beschließen. Es ist zu laut in unserer Stadt. Verkehrslärm, auch wenn wir ihn oft nicht mehr bewusst wahrnehmen, schränkt unser aller Lebensqualität ein, sei es durch den „normalen“ Verkehr oder die unsäglichen Autoposer mit ihren knallenden Auspuffanlagen. Durch kürzlich nach anerkannten wissenschaftlichen Standards durchgeführte Untersuchungen wurde nun bestätigt, dass viele Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt einer deutlich zu hohen Lärmbelastung ausgesetzt sind, weshalb wir aufgrund gesetzlicher Vorgaben zweifelsfrei zum Handeln gezwungen sind.
Warum? Weil Lärm, vor allem anhaltender Lärm, erwiesenermaßen krank macht. Bluthochdruck, Herz-Kreislaufprobleme, Schlaflosigkeit, Nervosität, Konzentrationsschwäche, auch als andauernde Leiden in ruhiger Umgebung, sind die Folge, auch und gerade bei Kindern. Ab etwa 25 Dezibel leidet die Konzentration, ab etwa 60 Dezibel schüttet der Körper Cortisol und Adrenalin aus und versetzt sich in einen Alarmmodus, der Stress zur Folge hat.
Viele Menschen in Fellbach leben an Straßen, deren dauerhafte Lärmsituation oberhalb von 60 Dezibel liegt. Leider sind die Dezibelwerte, gerade ihr scheinbar geringer Anstieg, schwer zu fassen, schwierig zu erklären und dazu noch individuell in der bewussten Wahrnehmung, was in einer Diskussion darüber immer zu extrem subjektiven Einschätzungen führt. Wir begrüßen es daher, dass auf EU-, Bundes- und Landesebene allgemein gültige Grenzwerte aufgestellt wurden, die rechtsverbindlich sind und auch von den Bürgerinnen- und Bürgern eingeklagt werden können.
Im nun vorliegenden Lärmaktionsplan wurden alle Werkzeuge zur Lärmreduktion berücksichtig, seien es Flüsterasphalt, Lärmschutzwände oder, in einem zweiten Schritt, die Förderung von Lärmschutzfenstern. Doch die gerade genannten Mittel reichen eben nicht aus, um die gesetzlich vorgeschriebenen Lärmwerte einzuhalten. Das mit Abstand wirkungsvollste Mittel ist eine Geschwindigkeitsreduktion auf Tempo 30, auch auf größeren Straßen, wie es sie bereits landesweit und in vielen umliegenden Gemeinden seit Jahren gibt. Fellbach erscheint hier bisher fast wie das sprichwörtliche Gallische Dorf, ein wenig aus der Zeit gefallen, mit stark durch Fußverkehr frequentierten innerstädtischen Straßen, die mit 50 Km/h befahren werden dürfen.
Wir diskutieren in diesem Gremium bereits seit Jahren intensiv über jeden einzelnen Meter, der auf Tempo 30 reduziert werden soll, oft auch politisch aufgeladen. Aus meiner beruflichen Perspektive als Fahrlehrer kann ich zweifelsfrei bestätigen, dass Tempo 30 wirklich was bringt. Der Verkehr wird dadurch verstetigt und die Lärmspitzen beim Beschleunigen auf Tempo 50, gefolgt von Bremsvorgängen und dem wiederholten Hochziehen der Drehzahl, fallen einfach weg. Und die gesetzliche Vorgabe für Elektrofahrzeuge, nur bis zum Erreichen der 20 Km/h-Marke einen künstlichen „Motorsound“ erzeugen zu müssen, spricht Bände. Ab bereits 20 Km/h werden die Abrollgeräusche der Reifen schon so laut, so dass man auch ein E-Auto ohne künstliche Soundkulisse hören kann. Auch hier gilt, je schneller, desto lauter. Selbst ohne lauten Verbrennungsmotor macht also eine Geschwindigkeitsreduktion aus Lärmschutzgründen Sinn.
Die Fellbacher Bürgerschaft unterstützt, wie aus der erfolgten Bürgerbeteiligung klar hervorgeht, mehrheitlich die Umsetzung von Tempo 30 auf den ausgewählten Straßen. Den Belangen unserer Freiwilligen Feuerwehr und des ÖPNV wird in der anstehenden Umsetzung bestmöglich Rechnung getragen, doch auch hier reicht ein Blick in die vielen Gemeinden, die bereits auf Tempo 30 reduziert haben. Es funktioniert dort trotzdem, auch im Einsatzfall.
Die Reduktion einiger wichtiger Straßen in Fellbach auf Tempo 30 mag aus Sicht unserer Fraktion natürlich zudem positive Effekte auf Verkehrssicherheit und Aufenthaltsqualität haben, das ist aber in unserer heutigen Abstimmung tatsächlich nachrangig. Die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt haben schlicht ein Recht auf Lärm- und Gesundheitsschutz, und genau diesem muss die Stadt nun Rechnung tragen.
Die Fraktion Bündnis90/Die Grünen unterstützt hiermit den Lärmaktionsplan vollumfänglich.
Vielen Dank
Dazu ein Kommentar aus dem Stadtanzeiger vom 25.05.2022 von Steffen Ellinger
Bei der letzten Gemeinderatssitzung ging es höher her, als die Presse berichtete. Ursächlich war die weiterhin ablehnende Haltung der beiden brgerlichen Fraktionen gegen die zentrale Maßnahme des Lärmaktionsplans für Fellbach.
Allen Rätinnen und Räten ist schon lange bekannt, dass der Lärm- und Gesundheitsschutz an den betroffenen Straßen nur durch eine Reduzierung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 50 auf 30 Stundenkilometer erreicht wird. Tempo 30 also dort, wo es wirklich nötig und sinnvoll ist. Aber dann, oh heilig‘s Blechle, hatten unsere bürgerlichen Autolobbyisten wieder mal eine Eingebung. So wurden mehr Temp 30-Straßen in Fellbach mit aus der Mottenkiste stammenden bzw. bis in die 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurückreichenden „Argumenten“ blockiert.
Was wohl die lärmgeplagten Anwohner dazu meinen?
Überzeugt davon, dass die meisten Fellbacher im 21. Jahrhundert angekommen sind und sich mehr urbane Aufenthalts- und Verkehrsqualität wünschen, rege ich an, den sich selbst als sehr bürgernah einschätzenden Fraktionen einen Wecker und eine Brille zu schenken. So könnten sie den – in den allermeisten Kommunen längst gehörten – Schuss hören und sich den fehlenden Weitblick verschaffen, dass nur „Mehr Mensch“ und nicht „Mehr Auto“ eine attraktive und gesunde Innenstadt ausmacht.
Lassen Sie sich zudem keinen „Blaulicht-Bären“ aufbinden: Der Behauptung, dass mehr Tempo 30-Straßen die Einsatzkräfte und den Busverkehr zu sehr beeinträchtigten, entgegne ich: „Gibt es etwa in Städten mit mehr Tempo 30-Straßen keine Busse, Polizei und Feuerwehr“?