Redner: Karl Würz
Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Zull,
Sehr geehrter Herr Erster Bürgermeister Berner,
Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Soltys,
Liebe Kolleginnen und Kollegen des Gemeinderats,
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Bevor ich mit der Stellungnahme für Bündnis 90/Die Grünen beginne, möchte ich meinen Dank aussprechen für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadt Fellbach, und mein besonderer Dank heute geht alle diejenigen, die an der Erstellung des Haushalts 2025 Anteil hatten. Denn ich bin mir sicher, dass sie alle sich schwer den Kopf zerbrochen haben, wie sie den Haushalt genehmigungsfähig gestalten. Aber Sie können sicher sein, auch wir hatten Kopfschmerzen beim Ausarbeiten unserer Stellungnahme.
Es ist sehr mutig von Ihnen, Frau Oberbürgermeisterin Zull und Herr Erster Bürgermeister Berner, unter diesen schwierigen Bedingungen als erste Gemeinde im Rems-Murr-Kreis den Haushalt einzubringen.
Oder, Frau Oberbürgermeisterin Zull, um Ihr Bild von Sisyphus aufzugreifen, der es leider bis heute nicht geschafft hat, den Stein nach oben zu bringen – es ist eine Aufgabe, deren Ende nicht abzusehen ist.
Ich nehme lieber das Bild des Hercules, der seine von den Göttern gestellten Aufgaben bewältigte.
So möchten wir uns der vor uns liegenden Herkulesaufgabe stellen, die Sie, Herr Erster Bürgermeister Berner, uns gestellt haben. Sie lautet: Wir haben kein Geld und trotzdem viele Aufgaben zu bewältigen.
Wie können wir als Gemeinderat zu tragfähigenLösungen beitragen?
Fellbach hält zusammen. Das hat sich während Corona bewährt und gilt nach wie vor – besonders in der heutigen Zeit mit ihren Herausforderungen.
Nehmen wir als erstes die Klimakrise. Da müssen wir nicht mehr nach Afrika oder Asien schauen, ein Blick nach Rudersberg reicht. Die Folgen des Starkregens dort Anfang Juni sind noch lange nicht bewältigt. Und das menschliche Leid ist nicht bezifferbar.
Wie sieht es in Fellbach aus?
Von der Schwammstadt und der intelligenten Nutzung des Regenwassers im Sinne einer umfassenden Wasserstrategie sind wir in Fellbach nach wie vor weit entfernt. – Wir wollen und müssen eine wasserbewusste Stadt werden, in der alle – Bevölkerung, Verwaltung, Gewerbebetriebe und Landwirtschaft– dazu beitragen, dass der Umbau hin zu einer besseren und nachhaltigeren Nutzung des Regenwassers und damit zu einer besseren Anpassung an den Klimawandel gelingt. Daher beantragen wir die Ausarbeitung eines Leitfadens für den Umgang mit Regenwasser. Wie das geht, hat Reutlingen jetzt gezeigt.
Trotz Grünstrategie und dem Pflanzen neuer Bäume an kritischen Stellen wie beispielsweise dem Vorplatz am F3 – die übrigens auf einen Antrag unserer Grünen Fraktion zurückgeht – kommen wir nur langsam voran in Sachen mehr Grün in der Stadt. Wir halten nichts davon, dass bei jeder geplanten Maßnahme das Konzept derGrünstrategie in Frage gestellt wird und stattdessen jedes Mal wieder diskutiert wird – Parkplatz oder Baum!
Wir müssen die weitere Versiegelung unserer Böden so gering halten wie nur möglich – im Gegenteil. Wirmüssen unsere Grünflächen ausweiten und uns anstrengen, dass wir so viel Wasser wie möglich in unserer Stadt und in unseren Böden halten.
Das bedeutet auch, dass wir uns keinen weiteren Flächenverbrauch in Fellbach leisten können.
An dieser Stelle möchte ich an unseren Antrag vom Sommer erinnern, im Gebiet Esslinger Weg in Schmiden einen Teil des als Wohnbaufläche ausgewiesenen Gebiets aus dem Flächennutzungsplan rauszunehmen. Wir warten noch immer auf die Beantwortung dieses Antrags.
Andererseits –
Wir brauchen dringend bezahlbaren Wohnraum, das wissen wir alle. Selbst Menschen, die durchschnittlich verdienen, finden oft keine passende Wohnung mehr.
Wir haben noch einige größere Wohnbauprojekte in der Planung, deren Realisierung gerade in weitere Ferne gerückt ist. Ich denke da nur an das Freibadareal, die Kühegärten oder das Kleinfeld.
Wie wir alle wissen, halten sich Investoren derzeit beim Bau von Wohnungen zurück. Das darf uns aber nicht dazu verleiten, dass wir die vor einigen Jahren von uns– vom Gemeinderat – beschlossene Sozialquote jetztstill zu Grabe tragen.
Der Grundsatz Innenentwicklung vor Außenentwicklung kann nicht oft genug betont werden. Das gilt auch für unsere Gewerbeflächen. Mit dem Gewerbegebiet Siemensstraße haben wir – so hoffe ich zumindest – für die kommenden Jahre ausreichend neue Kapazitäten geschaffen, sodass wir keine weiteren Gewerbegebiete ausweisen müssen. Konzentrieren wir uns lieber darauf, die bereits vorhandenen Gewerbegebiete besser zu nutzen.
Wir sind froh, dass wir im IBA-Gebiet ausprobieren können, wie man ältere Gewerbegebiete zukunftsfähig macht und vorhandene Ressourcen nachhaltig nutzen kann. Und zwar ökologisch wie auch wirtschaftlich. Denn die Erschließung neuer Gewerbe- und auch Wohngebiete kostet nicht nur einmal Geld – wir müssen immer auch daran denken, dass Infrastruktur viele Jahrzehnte Geld kostet, weil sie unterhalten werden muss. Das sehen wir zum Beispiel an den mehr als hundert Jahre alten Leitungen in der nördlichen Bahnhofstraße oder an der nicht ganz so alten Brücke in der Höhenstraße.
Man stelle sich vor, die müsste gesperrt werden –was würde dann in Fellbach passieren?
Aber kommen wir zurück auf das IBA-Gebiet. Es ist äußerst bedauerlich, dass der anfängliche Schwung der Gewerbetreibenden durch die unsägliche Diskussion um die LEA ins Stocken geraten ist. Wohlgemerkt – eine Diskussion, die uns vom Land und vom Regierungspräsidium aufgezwungen wurde.
Wir als Grüne Gemeinderatsfraktion stehen in dieser Diskussion voll hinter Ihnen, sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Zull, das möchte ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich betonen.
Kommen wir zum Sozialen.
Es zeigt sich auch jetzt wieder, wo die Gelder knapp sind, dass wir Soziales, Kulturelles und Bürgerschaftliches leicht aus den Augen verlieren.
Die Anlaufstelle für Bürgerschaftliches Engagement im Rathaus ist nach wie vor wichtig, auch wenn sie derzeit nicht besetzt ist.
Vor allem in der Gründungs- und Anlaufphase brauchen bürgerschaftliche Initiativen Unterstützung und Beratung. Dass Fellbach weiß, wie man helfen kann, zeigt die Auszeichnung „gründungsfreundliche Kommune“, die unsere Stadt für die Unterstützung von Existenzgründern kürzlich erhalten hat.
Aufgabe einer solchen Beratungsstelle für bürgerschaftliches Engagement ist die Vernetzung, Beratung und finanzielle Wegweisung, damit Bürgerinnen und Bürger ihr Vorhaben zum Wohle aller auf die Schiene setzen können. Mir schwebt zum Beispiel als persönliches Projekt immer noch eine Initiative vor, wie Fellbach zu einer demenzfreundlichen Kommune werden kann.
Eine solche Unterstützung des bürgerschaftlichen Engagements ist in meinen Augen auch eine deutliche Wertschätzung fürs Ehrenamt.
Wir merken meistens erst, wie wichtig das Ehrenamt für das Funktionieren unserer Gesellschaft ist, wenn Katastrophen eintreten. Ich möchte da nur noch einmal an Rudersberg erinnern. Die Mitglieder der Rettungsdienste wie Feuerwehr, Rotes Kreuz und andere aus der Blaulichtfamilie verdienen unsere Wertschätzung, und zwar das ganze Jahr über.
Eine wichtige und noch unerledigte Aufgabe ist der Aufbau eines umfassenden Hitzeschutzplanes. Am besten wäre natürlich, wenn dies kreisweit gemeinsam auf die Beine gestellt würde. Aber davon sind wir noch weit entfernt. Daher bitten wir die Verwaltung zu prüfen, welche Maßnahmen kurzfristig umgesetzt werden können – auch ohne ein kreisweites Konzept.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf ein konkretes Problem aufmerksam machen: In der Anne-Frank-Schule sind einige Klassenzimmer im Sommer so heiß, dass kein sinnvoller Unterricht mehr erteilt werden kann.
Frau Bürgermeisterin Soltys, bitte prüfen Sie, mit welchen möglichst einfachen Maßnahmen eine Verbesserung bewirkt werden kann.
Auch im Friedensschulzentrum besteht dringender Handlungsbedarf. Wir sehen es positiv, dass für das kommende Jahr bereits Mittel für Baumaßnahmen im Haushalt eingestellt sind.
Kommen wir zum Geld.
Die Aufkommensneutralität bei der Neubewertung der Grundsteuer haben zumindest wir in Fellbach nicht versprochen, denn es wird bei der Erhebung zu Verwerfungen kommen. Die einen werden mehr bezahlen müssen, die anderen weniger. Der Begriff Aufkommensneutralität bezog sich auf dieGesamtsteuereinnahmen der Kommunen bei der Grundsteuer.
Der Vorschlag von der Verwaltung sieht eine entsprechende Anpassung des Hebesatzes vor, um dieses Versprechen des Gesetzgebers einzulösen. Die Stadt verzichtet damit auf Einnahmen in beachtlicher Höhe, und die Frage darf erlaubt sein – können wir im kommenden Jahr so einfach darauf verzichten?Zumindest ein Inflationsausgleich wäre in unseren Augen angemessen.
Zumal im neuen Jahr die Gebühren für Kitas, Musikschule, Bücherei und anderes steigen sollen. Es reicht nicht, dass nur die Gebühren und die Gewerbesteuer angehoben werden, wie das von der Verwaltung geplant ist.
Fellbach hält zusammen!
Das bedeutet, dass alle ihren Beitrag leisten müssen.
Der Sparhaushalt oder, wie man mit Fug und Recht auch sagen könnte, der Haushalt des Grauens, zwingt uns dazu.
Auch unsere großen Bauprojekte werden vorläufig auf Eis gelegt. Die neue Feuerwehr an der Bühlstraße und die neue Trainingshalle in den Gäuäckern bleiben zumindest in den nächsten paar Jahren ein Traum. Und auch die Neue Mitte Fellbach wird abgespeckt.
Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir die vielzitierten sieben mageren Jahre vor uns haben. Das bedeutet, wir müssen uns auf das Nötigste beschränken und dürfen dabei das Notwendige nicht aus den Augen verlieren. Und – wir müssen unser Sachvermögen mit Sorgfalt behandeln, damit es möglichst lange hält. Das ist unsere Pflicht als Gemeinderat und auch die der Verwaltung. Das heißt letztendlich nichts anderes, als dass wir unseren Blick stärker auf Instandhaltung und Reparaturen legen müssen als auf Neubauten. Und sparen heißt auch, dass wir nicht jeden Wunsch erfüllen können, auch wenn er nachvollziehbar ist.
Wir können auch das Argument des geplanten Stellenstopps und der Stellenreduzierung nachvollziehen. Aber ist das der richtige Weg, um Geld zu sparen?
Mit Stelleneinsparungen ist das Risiko der Überlastung und des Ausfalls durch Krankheit oft schon vorprogrammiert.
Es sei denn, die Aufgaben werden neu verteilt und es findet eine ehrliche, kritische Durchleuchtung statt.
Eine Aufgabenuntersuchung darf nicht nur unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgen. Aber ich habe die Befürchtung, dass es genauso gemacht wird, das ist meine Erfahrung als langjähriger Gewerkschafter. Wir sehen daher den geplanten Stellenstopp und die Stellenreduzierung kritisch.
Das gilt auch für die Gleichstellungsstelle. Die geplante Reduzierung ist in unseren Augen gerade in der jetzigen Zeit nicht vertretbar.
Das Bundeskriminalamt hat in seinem neuen Lagebild zu Gewalt gegen Frauen festgestellt, dass Sexualstraftaten, häusliche Gewalt, Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, digitale Gewalt und Femizide massiv zugenommen haben. Ebenso die Fälle von politisch motivierter Kriminalität gegen Frauen.
Eine Erklärung liegt laut BKA in einer Ideologie der Ablehnung von der Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit der Geschlechter.
Vor diesem Hintergrund und in einer Zeit, in der wir nicht nur bei uns, sondern weltweit einen politischen Rechtsruck beobachten können, ist es umso wichtiger, dass wir uns dazu bekennen und dafür eintreten, dass Frauen und Mädchen unterstützt und geschützt werden– ebenso wie diverse Menschen – und – nicht zu vergessen – auch Männer.
Das Ziel der Gleichberechtigung ist noch lange nicht erreicht, im Gegenteil, es steht zu befürchten, dass manche das Rad wieder zurückdrehen wollen. Daher fordern wir, dass die Gleichstellungsstelle in vollem Umfang erhalten bleibt, auch wenn unsere Gleichstellungsbeauftragte Frau Roth jetzt in den Ruhestand geht.
Lassen Sie mich zum Ende meiner Rede noch ein anderes Thema ansprechen, das unserer Fraktion schon immer am Herzen liegt. Es ist der Verkehr in Fellbach. Wir freuen uns, dass wir nach vielen und langen Diskussionen inzwischen unseren Lärmaktionsplan haben und erste Maßnahmen umgesetzt wurden.
Damit wir beim Verkehr zu guten Lösungen kommen, müssen wir alle Verkehrsteilnehmenden und alle Verkehrsmittel zusammendenken.
Was auf jeden Fall noch auf sich warten lässt, ist die Neue Mitte Fellbach, von der wir inzwischen wissen, dass sie doch nicht so schnell kommt, wie geplant. Was aber vermutlich schneller kommen wird, ist die neue Endhaltestelle am Alten Friedhof.
Im Zusammenhang mit der neuen Endhaltestelle gibt es ein Problem, das in unseren Augen noch immer nicht gelöst ist.
Und das sind die deutlich längeren Umsteigewege vom 60er-Bus zur U-Bahn. Hier bitten wir die Verwaltung um nochmalige Prüfung, ob es nicht doch eine Möglichkeit gibt, diese Wege zu verkürzen.
Wir müssen in Fellbach Mobilitäts- und Verkehrskonzepte entwickeln und umsetzen, die Sicherheit und Gleichberechtigung für alle Verkehrsteilnehmenden garantieren. So, wie derzeit die Verkehrs- und Straßensituation in Fellbach ist, ist dies nicht der Fall. Noch immer sind die Schwächstendiejenigen, die zu Fuß und mit dem Rad in unserer Stadt unterwegs sind. Selbst auf unseren beiden Fahrradstraßen sind gefühlt mehr Autos unterwegs als Radlerinnen und Radler. Daher begrüßen wir die Radnetzkonzeption und hoffen, dass die Planungen zügig umgesetzt werden können und nicht an unserem Haushalt des Grauens scheitern.
Dass es nicht einfach wird, hat die Diskussion im Gemeinderat und auch in der Bevölkerung um den geplanten Radschnellweg von Schorndorf nach Stuttgart gezeigt. Das Ergebnis ist jetzt eine sogenannte stadtverträgliche Radverbindung durch Fellbach.
Aber auch bei dieser Variante sind noch Schwachstellen, wie in der Bürgerversammlung neulich deutlich wurde.Ich bin jedoch überzeugt, dass wir gemeinsam eine Lösung finden werden, mit der alle zufrieden sind und die für alle eine sichere Durchfahrt durch Fellbach gewährleistet.
Von sicheren Rad- und Fußwegen und mehr Platz für Fußgängerinnen und Fußgänger profitieren alle, auch der Einzelhandel und die Gastronomie. Wir wissen aus zahlreichen Untersuchungen und auch aus Erfahrungen anderer Städte, dass die Attraktivität der Geschäfte steigt, wenn sie nicht zugeparkt sind und dennoch gut erreichbar.
Um den Einzelhandel in Fellbach nachhaltig zu stärken und für weitere Geschäfte interessant zu halten, brauchen wir ein überarbeitetes Einzelhandelskonzept und vielleicht auch ein paar neue Ideen.
Leider ist für die nördliche Bahnhofstraße imkommenden Jahr nur eine Planungsrate im Haushalt eingestellt. Aber wenn wir die Sanierung und Aufwertung der nördlichen Bahnhofstraße nicht endlich zeitnah angehen, könnte es zu spät sein. Meiner Ansicht nach ist demnächst der Kipp-Punkt erreicht, an dem die nördliche Bahnhofstraße nicht mehr zu retten ist. Der schleichende Niedergang ist seit langem schon für alle sichtbar. Den wollen wir Grüne nicht – und ich bin überzeugt, Sie alle, die Sie heute hier sind, wollen das auch nicht!
Noch ein Thema, das uns schon seit Jahren beschäftigt,ist der Nord-Ost-Ring. Wir positionieren uns auch weiterhin zusammen mit den anderen Fraktionen und der Verwaltung gegen den Nordostring, auch wenn er jetzt „grün angemalt“ daherkommt. Der von Stihl propagierte Tunnel ist reiner Etikettenschwindel, denn das Schmidener Feld wird trotzdem zerstört.
Um unsere Ziele in und für Fellbach zu erreichen hilft es, wenn wir alle in dieselbe Richtung gehen und auch die Fellbacher Bevölkerung mitnehmen.
Meine Damen und Herren, vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
26.11.2024 Haushaltsrede Karl Würz, Bündnis 90/Die Grünen